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Easiness Lifecycle Management
ESSAY

Kunden Zeit sparen? Besser ihnen eine gute Zeit bereiten

Andreas Wimmer, 30. April 2017

Viele Unternehmen wollen ihren Kunden Zeit sparen. Es kommt in der Kundenbeziehung jedoch weniger auf Zeitersparnis an als auf eine positive Zeiterfahrung seitens des Kunden. Doch Zeiterfahrung ist subjektiv! Unternehmen sollten deshalb nicht nur auf die Uhr schauen, sondern überlegen, wie sie für ihre Kunden positive Zeiterfahrungen schaffen können.

Kleine Kinder leben ganz im Hier und Jetzt. Die Uhrzeit existiert für sie nicht. Wissenschaftler sagen, dass sich Kleinkinder bis zum Alter von drei bis vier Jahren praktisch überhaupt nicht von der Gegenwart lösen können. Zwar gilt die subjektive Erfahrung von Zeit als angeboren, doch mit einem Satz wie „morgen fahren wir zur Oma“ können Kleinkinder nichts anfangen. Für Vier- bis Fünfjährige existiert zwar Zeit, aber nur, wenn um sie herum etwas passiert, zum Beispiel mit den Eltern ins Freibad gehen. Erst mit ungefähr sechs Jahren begreifen Kinder, dass Zeit unabhängig von ihrem subjektiven Erleben gemessen wird und sich die Erwachsenen an diese „objektive“ Uhrzeit halten. „Aus dem unterschiedlichen Zeitgefühl von Kindern und Erwachsenen resultieren viele Konflikte“, sagt Pädagogikprofessor Ulrich Wehner gegenüber der Deutschen Presseagentur. Haben wir im Kindergarten oder spätestens in der Grundschule einmal „die Uhr gelernt“, dreht sich der Spieß bald völlig um: Die meisten Jugendlichen und Erwachsenen leben ein Leben nach der Uhr. Wir stehen jeden Morgen zur selben Uhrzeit auf. Wir machen Telefontermine, statt spontan anzurufen. Wir werden nach Arbeitsstunden bezahlt. Wir erwarten, dass Züge auf die Minute pünktlich sind. Wir messen unsere Zeiten beim Sport. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Manchmal stellen wir jedoch überrascht fest, dass unsere frühkindliche, rein subjektive Zeiterfahrung nie ganz aufhört zu existieren. Sie wird lediglich von der Uhrzeit, an die unser logischer Verstand sich hält, überlagert.

Stellen Sie sich vor, es ist spät am Abend, Sie haben irgendwo ausgiebig gefeiert, sind jetzt müde und wollen so schnell es geht ins Bett. Am Bahnsteig der S-Bahn oder U-Bahn angekommen merken Sie, dass ein Zug gerade wegegefahren ist und der nächste in 20 Minuten kommt. Wie erleben Sie diese 20 Minuten spätabends auf einem fast leeren Bahnsteig? Wenn es Ihnen so geht, wie den meisten Menschen, dann ziehen sich die 20 Minuten schier endlos hin. Am nächsten Morgen müssen Sie früh aufstehen. 20 Minuten bevor der Wecker klingelt, werden Sie wach. Sie freuen sich, dass Sie noch etwas liegen bleiben und sich genüsslich rekeln können. Doch im Nu sind die 20 Minuten vorüber! Es kommt Ihnen vor wie 3-5 Minuten. Schon lange unterscheiden Philosophen und Psychologen zwischen objektiver Zeit und subjektiver Zeiterfahrung. Und sind sich einig: Auf die subjektive Zeiterfahrung kommt es an! Während wir uns an der objektiven Zeit – der Uhrzeit – im Alltag orientieren, ist die subjektive Zeiterfahrung – das Zeitgefühl und Zeiterleben – das, was über unsere Lebensqualität entscheidet. Unternehmen, die Kundenbeziehungen positiv gestalten wollen, sollten diesen kleinen, aber wesentlichen Unterschied verstanden haben.

In Unternehmen dreht sich alles um messbare Zeit – für den Kunden nicht!

Zeit und Zeiteffizienz spielen in Unternehmen eine noch größere Rolle als ohnehin im Alltag der meisten Menschen. Als Manager messen wir Durchlaufzeiten und Bearbeitungszeiten. Wir wollen Just-in-time beliefert werden und eigene Lieferzeiten so gering wie möglich halten. Wir besitzen Zeitplaner und lesen Bücher über Zeitmanagement. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Zeiteffizienz ist richtig und wichtig für jede Businessorganisation. Allerdings ist das zunächst einmal nur die Innenperspektive. Die einseitige Fixierung auf objektive Zeit und Zeiteffizienz lässt Unternehmen schnell vergessen, dass der Fokus des Kunden selten derselbe ist. Natürlich gibt es Situationen, in denen auch der Kunde in erster Linie Zeiteffizienz – sprich: Schnelligkeit – erwartet. Er möchte weder auf sein im Restaurant bestelltes Essen endlos warten noch eine halbe Stunde in einem Onlineshop verbringen, nur um einen einzigen Artikel zu bestellen. Doch schon hier muss differenziert werden: Wie „lang“ fühlen sich denn 15 Minuten Wartezeit im Restaurant an? Das hängt nicht zuletzt von äußeren Faktoren ab, die sich seitens des Unternehmens beeinflussen lassen: Unterhält die Hintergrundmusik oder nervt sie? Wird schon einmal ein kleiner „Gruß aus der Küche“ gereicht, um die Wartezeit zu verkürzen? Liegen Unterhaltungsangebote, wie Bücher oder Zeitschriften, bereit? Ist das Personal für einen Smalltalk zu haben oder wirkt es gehetzt?

Viele Unternehmen bemühen sich heute als Teil einer verbesserten Kundenorientierung, dem Kunden Zeit zu sparen. Das ist lobenswert – aber zu kurz gesprungen. Zeit ist ein knappes Gut geworden, das stimmt. Für viele muss heute nicht nur Eiliges schnell gehen, sondern alles. Und dennoch: Was Kunden als „schnell“ oder „langsam“ empfinden, ist subjektiv. Es ist deshalb viel wichtiger, die Zeiterfahrung des Kunden positiv zu beeinflussen als dem Kunden objektiv Zeit zu sparen. Dazu ein Beispiel: Wenn es Ihnen als Autohaus gelingt, die Wartezeit auf einen freien Servicemitarbeiter um durchschnittlich 5 Minuten zu reduzieren, kann es sein, dass der Kunde das gar nicht merkt. Ganz anders, wenn Sie dem Kunden ermöglichen, sich während der Wartezeit kostenlos mit Kaffee oder Mineralwasser zu versorgen. Wenn Sie ihm nicht nur stahlharte Stühle Marke „Architektengeschmack“ hinstellen, sondern auch Entspannungs- oder Massagesessel. Oder wenn Sie iPads zur Verfügung stellen, auf denen sich spannende Videos und nützliche Infos abrufen lassen. Dann kann es nämlich sein, dass dem Kunden 5 Minuten mehr oder weniger Wartezeit egal sind. Denn er hat sich wohl gefühlt und eine gute Zeit gehabt.

So gehen Unternehmen achtsam mit der Zeiterfahrung des Kunden um

Easiness bedeutet also auch: Das Unternehmen bereitet dem Kunden eine positive Zeiterfahrung. Es sorgt dafür, dass der Kunde Wartezeit – oder Zeit, die nötig ist, um etwas auszulösen oder abzuwickeln – als von Leichtigkeit und Freude bestimmt wahrnimmt. Im Mindesten sorgt das Unternehmen dafür, dass die Zeiterfahrung neutral und nicht negativ ist. Beispiele für negative Zeiterfahrungen sind Terminstress, das Gefühl von Getriebenheit, das Erleben von Langeweile oder das Gefühl von sinnlos verschwendeter Zeit. In einer Kultur der Easiness untersuchen Unternehmen sämtliche Kontaktpunkte mit ihren Kunden und fragen sich: Wo könnte der Kunde eine solche negative Zeiterfahrung machen? Und dann: Wie lässt sich die subjektive Zeiterfahrung des Kunden durch äußere Einflüsse so verändern, dass sie mindestens neutral und im besten Fall positiv wird? Das kann in vielen Fällen – auch – bedeuten, dem Kunden objektiv Zeit zu sparen. Aber das ist eben nicht der springende Punkt. Wichtig ist ein Perspektivwechsel: Wie erlebt der Kunde die Situation wirklich? Das lässt sich zum Beispiel klären durch Kundenbefragungen oder Methoden wie Service Safari oder Shadowing (in die Rolle des Kunden schlüpfen bzw. den Betriebsablauf unerkannt beobachten).

Aus der Praxis lassen sich einige allgemeine Prinzipien ableiten, was die Zeiterfahrung des Kunden in aller Regel verbessert. Erstens: Dem Kunden das Gefühl geben, dass er so schnell wie möglich bekommt, was er will. Hierzu können zum Beispiel Statusmeldungen beitragen, die mitteilen: „Ihre Bestellung ist eingegangen und wird bearbeitet.“ Oder: „Die Sendung hat unser Lager verlassen und wurde dem Paketdienst übergeben.“ Zweitens: Unnötige Hürden abbauen und leichten Zugang zu Leistungen ermöglichen. Muss der Kunde sich online immer erst umständlich anmelden? Werden am Telefon alle möglichen Daten, wie Kundennummer oder Geburtsdatum, abgefragt, selbst wenn die Transaktion gar nicht sicherheitskritisch ist? Drittens: Unvermeidliche Wartezeiten positiv gestalten. Zum Beispiel durch Informations- und Unterhaltungsangebote „While-U-Wait“. Manchmal genügen verblüffend einfache Maßnahmen, um die Zeiterfahrung des Kunden zu verbessern. So zeigte sich bei Untersuchungen, dass die Ansage der voraussichtlichen Wartezeit bei Hotlines die Erwartungshaltung senkt und die Geduld vergrößert. Wenn wir wissen, dass etwas in vier Minuten passieren wird, sind wir weniger angespannt, als wenn es jederzeit eintreten könnte. Schon hat sich das subjektive Erleben von Zeit positiv verändert.

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COMMENTS

1 comment on this post

  • Im Autohaus würde ich statt „stahlharte Stühle Marke „Architektengeschmack““ echte super bequeme Autositze den Massagestühlen vorziehen.
    Warum? Weil Massage nichts mit Autos zu tun hat, weil Massagesitz jeder kann, weil ich als Autohaus so die Qualität meiner Produkte beweisen kann, weil es einzigartig und witzig ist, weil man Autositze super cool in Szene setzen kann, und weil ich als Autohaus ohnehin Autositze habe.

    Ihr Denkansatz ist super, Herr Wimmer.
    Ich denke ähnlich, und zwar so:

    Der Kunde möchte Zeit sparen?
    OK. Warum möchte er das?
    Was will er mit der gesparten Zeit anfangen?
    Will er ausruhen und entspannen, sich amüsieren, etwas erleben?
    Will er sich über Produkte informieren?

    Wir kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
    Wer die Wartezeit für etwas Schönes, Gutes oder Nützliches verwenden kann, hat nicht das Gefühl, seine Zeit zu verschwenden. Im Gegenteil, ihm wurde ein unerwartetes Geschenk gemacht.

    Herzliche Grüße und eine schöne Zeit,
    Lita Haagen