Wenn deutsche Politiker auf die Chancen der Digitalisierung angesprochen werden, dann lässt oft wenig darauf schließen, dass Digitalisierung und die Möglichkeiten dahinter überhaupt verstanden wurden. Jüngstes Beispiel: Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Richard David Precht. Ein Kommentar.
„Wann kommt der Kommunismus?“ Diese Frage stellt der Philosoph Richard David Precht in seiner Fernsehsendung dem Gast Sahra Wagenknecht von der Partei „Die Linke“. Keine bloße Provokation, sondern – wie immer bei Precht – gut durchdacht. Schließlich hatte Karl Marx, der Vordenker des Kommunismus, bereits im 19. Jahrhundert prophezeit, dass gerade die am höchsten entwickelten „kapitalistischen“ Gesellschaften am wahrscheinlichsten den Sprung in eine kommunistische Gesellschaft schaffen werden. Eine Gesellschaft also, in der alle (oder fast alle) Menschen von den Mühen der Erwerbsarbeit befreit sind und ohne Druck und Zwang ihren wirklichen Interessen nachgehen können. Eine Gesellschaft, in der für alle genug da ist und es keine Ausbeutung und keine Knechterei mehr gibt. Precht fragt: Arbeitet nicht das Silicon Valley gerade an genau dieser Utopie? Könnten nicht Digitalisierung und Automatisierung der Menschheit genau das bescheren, wovon Kommunisten immer geträumt haben? Und brauchte es deshalb nicht jetzt eine positive digitale Utopie seitens der Politik, um diese Entwicklung nicht allein dem Silicon Valley zu überlassen? Was für kluge Fragen! Und was für enttäuschende Antworten der profilierten Politikerin der Linkspartei.
Sahra Wagenknecht mag sich schon auf den Begriff „Kommunismus“ nicht einlassen. Eine „sozialistische“ Politik würde ihr völlig genügen, aber diesmal bitte den „richtigen“ Sozialismus, also nicht à la DDR. Na schön. Und die Rolle der Digitalisierung in dieser neuen Politik? Anscheinend gar keine, denn bis heute ist das alles ganz „grauenvoll“ und „eine Schande“, was aus dem Silicon Valley kommt, findet die Politikerin. Als erstes fallen ihr Facebook und Twitter ein, die für die Menschheit ja kein Fortschritt seien. Eher dafür verantwortlich, dass angeblich keiner mehr Bücher liest. Der 3D-Drucker? Eine „Illusion“. Selbstbestimmtes Arbeiten in der neuen Arbeitswelt? Führt ja doch nur zu „prekären Jobs“. Eine digitale Utopie? Viel wichtiger sei es doch, so die Politikerin, der „Überwachung“ durch „private Unternehmen“ gesetzlich den Riegel vorzuschieben. Gastgeber Precht will immer wieder darauf hinaus, ob die Digitalisierung, wie sie jetzt nun mal vom Silicon Valley vorangetrieben wird, das Leben nicht doch zumindest ein bisschen angenehmer macht. Aber da ist er auf verlorenem Posten. Die Politikerin der Linkspartei kann der Digitalisierung „in der heutigen Form“ (eine andere haben wir ja nicht) einfach nichts abgewinnen.
Ich kann immer wieder nur staunen über Politiker wie Sahra Wagenknecht. Statt die Digitalisierung aktiv mitgestalten zu wollen – auch und gerade in Deutschland – scheint es nur darum zu gehen, wie sich die Aktivitäten von Unternehmen wie Google, Facebook & Co. begrenzen lassen. Das Thema Daten wird auf Ausspähen reduziert und ebenfalls allein als Gefahr gesehen. Wir sollen geschützt werden wie Kinder vor dem bösen Wolf. Natürlich gibt es problematische Entwicklungen bei der Digitalisierung. Natürlich dient nicht alles, was aus dem Silicon Valley kommt, der Befreiung der Menschheit. Aber: Von Politikern erwarte ich, dass sie die Möglichkeiten sehen und Lösungen aufzeigen. Wenn sie sich schon weigern, eine digitale Vision zu entwickeln. Noch mehr Verbote braucht kein Mensch.